Von Kleber und blöden Ausreden

01. Oktober 2010 at 12:10:15 (Allgemein)

Auch wenn man es oft nicht mehr hier liest, bin ich ja doch noch hauptberuflich Klavierlehrerin. 😉

Aber normalerweise erzähle ich darüber nicht so viel, weil das konzentrierte Arbeiten an den Stücken oft nicht so viel Raum für Erzählenswertes lässt. Ich möchte hier weder erzählen, was die Kinder mir anvertrauen oder ab und an einen „Kindermund“ bringen, das halte ich für falsch. Aber diese Sache muss ich erzählen, weil ich immer noch drüber lache.

Meine Klavierschüler sind total unterschiedlich. Manche sehr begabt, aber stinkfaul, manche sehr begabt und fleißig (das sind die, die dann auch Chancen beim Wettbewerb haben), viele normal begabt und normal motiviert, manche übermotiviert, manche unmusikalischer, aber arbeitswillig und manche gar nichts von allem – die unterrichte ich aber auch nicht. 😀

Eine meiner Schülerinnen gehört der Kategorie „nicht wirklich talentiert, aber doch gerne im Unterricht“ an. Sie kommt gerne, wir verstehen uns gut, aber sie muss wirklich hart arbeiten, um die Stücke hin zu kriegen. Es dauert lange, es zieht sich auch mal, ich muss öfter mal sanft meine Schuhspitze in Kontakt mit ihrem Gesäß bringen und immer wieder überlegen, wie ich sie motivieren kann. Sie ist total goldig, hat eine absolut lustige Art drauf und der Unterricht ist immer sehr spaßig. Aber sie muss eben wirklich viel Kraft lassen, um vorwärts zu kommen.

Nun war wieder Unterricht, sie hatte von letzter auf diese Woche zwei Stücke aufgehabt. Bei einem sollte sie „fertig“ üben, also sichern und flüssig spielen trainieren, bei dem anderen sollte sie die Hände einzeln beherrschen und als freiwilligen Zusatz vielleicht noch ein Stück zusammen. Ich verteile immer Sticker an die Stücke,  wenn sie gut waren. Wenn die freiwillige Zusatzaufgabe noch gemacht ist, gibt es einen besonderen Sticker aus einer Kiste. Funktioniert seit 12 Jahren. 😀 Die Kleine kam also, stellte ihre Noten auf den Flügel und begann mit dem ersten Stück. Das war passabel, sie sollte es ja auch nur sichern und flüssiger spielen können. Ich war einigermaßen zufrieden, auch wenn es besser hätte laufen können. Da ich ja weiß, wie sie strampeln muss, passte das schon. Ich zeichnete ihr noch einen Fingersatz ein und machte einen Kringel um eine Note, die sie immer falsch spielte…und wunderte mich sehr, dass der Bleistift so komisch auf dem Blatt schrieb und sah, dass es gewellt war.

Ich fragte daraufhin, ob das Heft nass geworden wäre, meine Schülerin schüttelte den Kopf: „Ich wüsste nicht…es hat ja nicht geregnet die letzten Tage…“

Nuja, ich habe mich nicht weiter gedanklich damit beschäftigt. Als wir das Stück fertig gearbeitet hatten, sollte sie das nächste vorspielen, das sie üben sollte. Sie blätterte hin und her…hin und her…mit etwas überraschtem Gesichtsausdruck. Ich sagte nur: „Das Stück war doch auf der folgenden Seite…einfach eins weiter blättern.“ Schon da hatte ich den Eindruck, sie schinde Zeit. Sie blätterte eine Seite weiter…und es ging von Seite 6 auf 9.

Hä?

Ich nahm ihr das Heft aus der Hand und schaute näher nach. Da klebten doch tatsächlich die Seiten dazwischen zusammen. Erst dachte ich, da sei halt was reingelaufen und versuchte, die Seiten sanft zu lösen. Keine Chance. Dann roch ich dran: Kleber. Meine Schülerin wurde blass.

„Was…ohgott…das muss meine kleine Nichte gewesen sein…“ (Sie hat eine viel ältere Halbschwester, die bereits Mutter ist).

Ich fragte sie mit skeptischem Blick: „Und WANN soll sie das gemacht haben?“, denn ich sah, dass die Blätter absolut fachmännisch gerade zusammen geklebt waren.
Wie aus der Pistole geschossen: „Letzten Mittwoch war sie da…“

Damit hatte ich sie. Sie hat immer mittwochs Stunde. Das bedeutet, dass sie, WENN das alles so stimmen sollte, die ganze Woche dieses eine Stück nicht angeguckt hatte, da es ihr ja „nicht aufgefallen war“.

Innerlich musste ich mir das Lachen verbeißen, äußerlich guckte ich sehr streng und ernst und forderte mit Nachdruck die Wahrheit.
Meine Schülerin sank in sich zusammen und sagte: „Ich muss wohl das Falsche geklebt haben…ich sollte im Matheheft zwei Seiten zusammenkl…“ Aber da ließ ich sie nicht aussprechen. Das war ja wohl die Höhe! Innerlich lag ich vor Lachen am Boden, aber in einem solchen Moment ist es einfach unklug, die Sache „witzig“ zu finden. Ich faltete sie also zusammen, denn es gibt nichts, was ich mehr hasse als Lügen. Mein Unterricht basiert immer auf einem guten Vertrauensverhältnis von Schüler und Lehrer, meine Schüler erzählen mir ALLES, dürfen auch sagen, wenn sie mal faul waren, mir ist das lieber als ein Lügenkonstrukt.

Ich schmiss meine Schülerin also aus dem Unterricht, erklärte ihr, dass sie gefälligst ein anderes Stück bis auf die Pieke vorzubereiten hätte, aber heute wolle ich sie nicht mehr sehen.
Sie war schneller aus dem Raum verschwunden als ich gucken konnte…und ich konnte endlich loslachen. Allerdings fragte ich mich auch, wie der Unterricht nach so einem Gesichtsverlust ihrerseits und Vertrauensverlust zwischen Lehrerin und Schülerin noch funktionieren sollte.

Als ich abends nach Hause kam, fand ich einen Brief im Briefkasten. Kinderschrift auf dem Umschlag.
Darin eine absolut niedliche und ehrliche Entschuldigung. Sie wisse ja, dass Lügen einfach nur blöd sei, sie es aber immer wieder mache, warum auch immer. Dass es ihr sehr leid täte und das Klavier zu ihrem Leben dazu gehöre und sie nicht aufhören wolle.

Als sie diesen Mittwoch in den Unterricht kam, habe ich dann mal die Arme ausgebreitet und sie hat sich erleichtert reingeschmust. Ich habe dann ihr Versprechen bekommen, dass sie mich nie mehr in sowas anlügt…

…ich hoffe, sie hält sich dran.

Jedesmal, wenn ich daran denke, muss ich einfach grinsen…also sowas… 😀

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